Einfühlung und Empfindsamkeit in der Literatur des 18. Jahrhunderts

Das 18. Jh. wird üblicherweise als das „Zeitalter der Aufklärung“ bezeichnet, dessen zentrales Merkmal die Schärfung und Verbreitung der kritisch prüfenden und berechnenden Vernunft war. Obwohl diese verbreitete Charakterisierung ihren wahren Kern hat, verleitet sie allzu leicht zu einer einseitigen Sichtweise auf dieses Jahrhundert: Denn es sollte nicht übersehen werden, dass das kritisch-rationale Denken, das zu den wissenschaftlich-technischen Fortschritten führte, bei vielen Persönlichkeiten von einer gefühlvollen Sensibilität begleitet wurde, die dem Streben nach menschlicher Würde und Solidarität ihren Antrieb gab. Die Unterschiede zwischen den zahlreichen philosophischen, religiösen und literarischen Strömungen sollten natürlich nicht unter den Tisch gekehrt werden, es lässt sich jedoch allgemein feststellen, dass Vernunft und Gefühl sich bei vielen Persönlichkeiten gegenseitig befruchteten, d.h. eine Einheit bildeten und in die moralischen, pädagogischen und politischen Ideale eingingen:

Der „vervollkommnete“ Mensch sollte sich sowohl durch vernünftiges Wissen und moralische Tugend als auch durch ein ausgeprägtes Einfühlungsvermögen für die gesamte lebendige Natur und die Mitmenschen auszeichnen. Das Verfassen literarischer Werke für ein breiteres Publikum war dabei einerseits individueller Ausdruck dieser Einheit von Vernunft und Gefühl und sollte zugleich auf die Leser durch persönliche Anteilnahme am Geschriebenen bildend wirken. In dieser locker gehaltenen Veranstaltung möchte ich anhand ausgewählter Primärtexte, die wir gemeinsam lesen werden, an bedeutende Schriftsteller/innen dieser Zeit erinnern, die heute leider nahezu vergessen sind, obwohl ihre Lebenshaltung, ihre moralisch-politischen Ideale und ihr Grad an Einfühlungsvermögen uns heute als Beispiel dienen könnten. Diese Rückbesinnung kann dabei selbst als Übung betrachtet werden, sich in Menschen und die soziale Lebenswelt  vergangener Zeiten einzufühlen.

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